Eine von vielen by Tokarjewa Viktorija

Eine von vielen by Tokarjewa Viktorija

Autor:Tokarjewa, Viktorija [Tokarjewa, Viktorija]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Neue Literatur
ISBN: 9783257604429
Herausgeber: Diogenes
veröffentlicht: 2015-01-06T05:00:00+00:00


Angela kam vom Einkauf zurück. Sie hatte Waschmittel und Karotten besorgt.

»Dein ehemaliger Chef hat angerufen«, verkündete Innokenti. »Er hat eine Nummer hinterlassen und gebeten, dass du zurückrufst.«

[104] »Mach ich auf gar keinen Fall«, sagte Angela erschrocken.

Jelena hatte Angela rausgeschmissen, wobei sie ihr Diebstahl unterstellt hatte. Sie hatte behauptet, eine Brillantbrosche sei ihr abhandengekommen. Hatte sich aufgeführt, als wäre sie Queen Elizabeth persönlich.

Angela hatte eine solche Brosche nie zu Gesicht bekommen, bestand aber auch nicht auf einer weiteren Klärung der Angelegenheit. Sie hatte einfach ihre Sachen gepackt und war gegangen.

Das Telefon klingelte. Angela wartete, dass es aufhörte, aber es klingelte und klingelte.

»Na jetzt geh schon dran!«, rief Innokenti.

Angela nahm ab und hörte Nikolajs Stimme.

»Ich kann Sie nicht verstehen!«, rief Angela.

»Hör mir mal zu«, sagte der Exchef. Seine Stimme klang warmherzig.

»Was wollen Sie?«, fragte Angela misstrauisch.

»Das klingt aber unfreundlich«, bemerkte Nikolaj.

»Na ja…« Angela geriet ins Stocken. »Also gut, was möchten Sie?«

»Mit dir essen.«

»Was soll ich kochen?«

»Ich lade dich in ein Restaurant ein. Jemand anders kocht für uns… Wo wohnst du überhaupt?«

[105] »Novator-Straße sechs. Wieso?«

»Und wie ist die Nummer des Eingangs?«

»Eingang drei. Wieso?«

»Komm um acht zum Eingang drei.«

»Am Morgen?«, fragte Angela verwirrt.

»Na, wer geht denn morgens in ein Restaurant? Um acht Uhr abends natürlich.«

»Ich frag mal Kira Sergejewna.«

»Was fragst du sie?«

»Ob ich mit Ihnen ins Restaurant gehen darf.«

»Du bist doch volljährig. Du brauchst nicht zu fragen. Und um elf bist du wieder daheim.«

»So spät!«, rief Angela.

›Na, die ist ja noch eine richtige Landpomeranze‹, dachte Nikolaj. ›Das trifft sich gut.‹

Das Restaurant hatte einen Steinboden. Es war fast leer. Jedes Wort hallte wie in einem Bahnhof.

Ein junger Schwarzer kam an den Tisch und fragte in akzentfreiem Russisch, welchen Wein sie trinken wollten. Nikolaj nannte einen. Der Schwarze nickte.

»Wohnen Sie in Moskau?«, fragte Angela.

»In Mytischtschi«, antwortete der Schwarze.

»Nicht zu fassen«, sagte Angela staunend.

Der Schwarze ging davon.

Eine Kellnerin brachte grünes Öl und knuspriges Brot.

[106] »Nimm dir nicht den Appetit«, riet Nikolaj.

»Aber warum haben sie es dann gebracht, wenn man es nicht essen soll?«, fragte Angela verständnislos.

Sie sah Nikolaj an. Ohne Ehefrau war er ein anderer. Er war jünger, attraktiver. Er war ganz er selbst, und das stand ihm gut. Aber trotzdem hätte Angela seine Tochter sein können. Fast seine Enkelin. Er war ein Papilein, beinahe ein Opa.

Der Schwarze brachte eine Flasche. Er schenkte in die langstieligen Gläser ein. Nikolaj probierte, behielt den Wein eine Weile im Mund, bevor er schluckte. Dann nickte er wohlwollend. Es war ein richtiges Ritual.

Angela probierte auch. Säure, weiter nichts. Sie hätte es am liebsten wieder ausgespuckt, aber sie genierte sich.

Der Schwarze ließ die Flasche da und ging weg.

»Ich möchte, dass du zurückkommst«, sagte Nikolaj anstelle eines Toastes.

»Nein!«, schnitt ihm Angela das Wort ab. »Für Jelena Michailowna arbeite ich nicht mehr. Sie ist eine Lügnerin. Sie lügt, ohne rot zu werden.«

»Jelena Michailowna hat gar nichts damit zu tun. Ich möchte, dass du in meiner Moskauer Wohnung arbeitest.«

»Und weiß Ihre Frau das?«

[107] »Das geht sie gar nichts an. Wir leben in getrennten Territorien.«

›Es ist doch überall dasselbe‹, dachte Angela. Ihre Eltern wohnten auch in ›getrennten Territorien‹.



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